Geliebt oder gequält - Gehst Du zu weit bei Deinem Tier?
Aktualisiert: 28. Juli 2023
„Du vermenschlichst Dein Tier zu sehr!“ – Ein Satz, den viele Haustierbesitzer sicherlich schon einmal gehört oder verwendet haben – Doch ist er berechtigt?
Vermenschlichung von Tieren ist an sich kein neues Phänomen, aber eins, welches in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen hat. Widmen wir uns diesem viel diskutierten Thema, um herauszufinden, ob Vermenschlichung gut oder schlecht ist und warum, welche Bedeutung es hat und wie es sich auf das Wohlbefinden der Tiere auswirkt.
Inhalt
Was ist überhaupt Vermenschlichung?
Wenn Tiere menschenähnlich betrachtet und dargestellt werden, nennt man das „Anthropomorphismus“. Das bedeutet, dass man sie behandelt, als hätten sie menschliche Eigenschaften. Besonders deutlich wird das, wenn die Lebensumstände des Tieres darauf ausgerichtet werden, dass sie der menschlichen Würde, dem Wohl und Bedürfnissen nach ausgerichtet sind und weniger nach den artspezifischen Ansprüchen.
Wir geben ihnen Namen, feiern ihren Geburtstag, und betrauern ihren Verlust, während wir sie wie unseresgleichen beerdigen und mit Zeremonien und Denkmälern ehren. Auf der ganzen Welt werden Tiere vermenschlicht (wenn auch unterschiedlich ausgeprägt).
Das Konzept an sich ist eine angeborene Tendenz der menschlichen Psychologie und ist tief in unserer Kultur, Kunst und Geschichten verwurzelt. Die Menschen schreiben dabei den Wild- und Haustieren menschliche Emotionen und Verhaltensmerkmale zu.
Ob bei Filmen (wie bei den Aristocats im Bild), Büchern, Spielfiguren, Kostümen, Märchen... - Vermenschlichung ist ein Teil unseres Alltags
Was geht zu weit und wie geht es besser?
Einige Studien haben sich intensiv mit der Beziehung zwischen Haustieren und ihren Haltern beschäftigt und zeigten deutlich, dass viele ihre Schützlinge vermenschlichen und dadurch deren Wohlbefinden beeinträchtigen¹ .
Grundlegend fehlendes Verständnis für Katzenbedürfnisse
Vermenschlichung kann dazu führen, dass man die Bedürfnisse und Verhaltensweisen seiner Katze nicht richtig versteht oder sogar vernachlässigt. Um dies zu vermeiden, ist es wichtig, sich Wissen über eine artgerechte Haltung und die grundlegenden Verhaltensweisen von Katzen anzueignen. Folgende Beispiele findet man häufig in den Haushalten, die das Wohlbefinden der Tiere beeinträchtigen:
Unnötiges Verkleiden – ganz speziell bei Katzen gibt es zahlreiche Gründe, weswegen Kostümieren zu großem Stress führen kann. Wenn also nicht gerade tierärztlich verordnet oder zweckmäßig als Geschirr für Gassirunden, sollte auf Accessoires und Verkleidungen gänzlich verzichtet werden.
Fehlender Respekt – Katzen können in der Regel gut kommunizieren, was sie nicht mögen. Grundsätzlich würde Vermenschlichung eigentlich dazu führen, das zu respektieren (wer würde einem anderen Menschen schon einen Kuss aufdrücken, wenn der das offensichtlich nicht will). Leider ist aber oft das eigene Bedürfnis, Zuneigung auszudrücken, stärker, als das Verständnis für die Signale seines Lieblings. Ständiges Hochheben, Stören beim Schlafen und unfreiwillige Kuscheleinheiten sind dann die Folge. Auch wenn es schwerfällt, sollte man respektieren, wann ein Tier Zuneigung ablehnt. Um so mehr Bedeutung haben dann die Momente, wenn die Samtpfote die Aufmerksamkeit und Liebe einfordert.
Falsch verstandenes Verwöhnen – Nie war das Angebot von Haustierzubehör größer. Wer wäre also nicht verführt, ein süßes Bettchen, ein paar bunte Bällchen und viele hübsche Accessoires zu shoppen? Auch ich bin fleißiger Konsument, wenn es um die Ausstattung meiner Katzen geht. Doch ein erschreckender Großteil in den Läden sieht nur gut aus, ist aber als tierschutzwidrig einzustufen. Ein guter Ansatz wäre hier, zu überlegen, ob dieses Spielzeug für ein menschliches Baby gefährlich sein könnte. (Man könnte sagen, da wäre Vermenschlichung sinnvoll eingesetzt) Um keine unnötigen Gefahrenquellen zu verursachen und ein Gefühl für artgerechte Ausstattung zu bekommen, gibt es folgenden Guide für Katzen, Hunde, Vögel und Nagetiere: - Klick hier für den Beitrag vom Tierschutzbund - Klick hier für die PDF-Datei
Eine fehlende oder unpassende Ausstattung kann zu Verhaltensproblemen führen.
Wenn Tierliebe krank macht
Traurige Zeugen falsch verstandener Tierliebe durch Vermenschlichung sind in der Regel die Tierärzte und Pathologen. Sehen wir uns einmal die häufigsten Probleme an:
Falsche Ernährung – Frei dem Motto „Liebe geht durch den Magen“ drücken einige Halter gern mal ein Auge zu, wenn der Liebling bettelt und geben gern etwas von ihrem Essen ab oder füttern mehr als die empfohlene Tagesration. Das hat schwerwiegende Folgen, denn insbesondere Katzen haben einen Körper, der auf eine bestimmte Ernährung spezialisiert ist. Diese ist notwendig, um Fettleibigkeit und deren Folgeerkrankungen, Mangelernährung oder vielen andere Krankheiten vorzubeugen.
Zucht – Spätestens beim Thema Qualzuchten wird deutlich, wie der Mensch seine eigenen Vorstellungen und Bedürfnisse über das Wohl der Katze stellt. Das sind Tiere, die gezüchtet wurden, mit bestimmten äußerlichen Merkmalen oder Verhaltensweisen, die dann vom Menschen als „schön“, „niedlich“ oder „interessant“ empfunden werden (siehe Titelbild). Die Konsequenz sind in der Regel gesundheitliche Folgen, wie Atem-, Haut-, Verdauungs- oder Augenprobleme und vieles mehr. Solche Züchtungen haben direkte Auswirkungen auf die Lebensqualität der Tiere und können auch zu einer verkürzten Lebenserwartung führen. Wenn man eine Katze hält, die zu den Qualzuchten gezählt werden, ist es äußerst wichtig, regelmäßig Untersuchungen durch einen Tierarzt auf bekannte problematische Zuchtmerkmale hin durchführen zu lassen.
Tierärztliche Behandlungen - Das Sahnehäubchen der negativen Vermenschlichung bildet die unterlassene tierärztliche Behandlung. Häufig bedeutet das, aus egoistischen Gründen eine notwendige Einschläferung (Euthanasie) zu unterlassen. Abstrakter wird es beim Thema Kastration, wenn manche Katzenpapas besorgt diese mit einer „Entmannung“ des Katers gleichsetzen.
Erwartungen – Das Gift der Mensch-Tier-Beziehung
Tierverhalten zu vermenschlichen, führt zu unberechtigten Unterstellungen und Fehleinschätzungen. Wenn wir versuchen, sie zu verstehen, indem wir unsere eigenen menschlichen Verhaltensweisen auf unsere Haustiere projizieren, dann führt das zu falschen Erwartungen (zum Beispiel in Bezug auf Hygiene, Rücksicht und Persönlichkeit). Anstatt ihre Körpersprache und Verhaltensmuster zu beobachten und nach arttypischen Erklärungen zu suchen, wird dann unterstellt, die Katze täte etwas aus Trotz oder reiner Böswilligkeit. Das wiederum vergiftet die Beziehung und beeinflusst die Gefühle zum Tier negativ.
Warum halten wir uns Haustiere? Vom Ursprung der Domestikation bis zur modernen Tierhaltung sind die Gründe menschliche Bedürfnisse. Doch wenn ein Tier als Zeitvertreib für sich oder seine Kinder, als Seelsorger, Kind- oder Partnerersatz hinhalten muss, dann wird erwartet, dass das Haustier regelrecht eine menschliche Rolle erfüllt. Vor allem wird das problematisch, wenn wir durch die Vermenschlichung von Katzen ihre natürlichen Instinkte ignorieren oder unterdrücken. Eine weitere Studie, die in der Zeitschrift "Applied Animal Behaviour Science" veröffentlicht wurde, ergab, dass Katzen, die vermenschlicht wurden, weniger wahrscheinlich natürliche Verhaltensweisen wie Jagen und Klettern ausüben. Dies kann zu einer Reihe von Problemen führen, einschließlich Übergewicht, Langeweile und Verhaltensproblemen.
Doch wann ist Vermenschlichung gut?
Persönlich bin ich davon überzeugt, dass Vermenschlichung auch so einige positive Effekte nach sich gezogen hat. Deswegen habe ich die Studien dazu gewälzt, um es entsprechend zu belegen.
FUNFACT BABYVOICE: da wir unsere Haustiere als niedlich empfinden, neigen die meisten von uns zur Babyvoice (die meist merkwürdige hohe Stimme, die wir verwenden, wenn wir mit Babies sprechen) – hier wurde in Studien³ belegt, dass auch Hunde und Katzen sich dadurch angesprochen fühlen und positiv darauf reagieren.
Der emotionale Nutzen
Jeder Halter kennt beispielsweise die Gefühle von Trost, Zuneigung, Freude und Verbundenheit, die durch das Haustier ausgelöst werden. Das konnte auch in einer Studie² bestätigt werden. Man fand dabei heraus, dass allgemein Vermenschlichung und bei sozialer Zurückweisung beziehungsweise Isolation bereits ein kurzes Denken an Katzen oder Hunde die eigene Stimmung verbessert werden konnte.
Der Schutzmantel der Familie
Menschen leben von Natur aus in sozialen Gemeinschaften, weil das ursprünglich eine erfolgreiche Überlebensstrategie war. Die Basis davon bildet in der Regel die eigene Familie. Auch heute noch verbinden wir unter anderem mit Familie instinktiv Schutz, Versorgung und Zuneigung. Doch es scheint, umso mehr Menschen es gab, desto einsamer wurden sie. So füllten immer öfter auch Haustiere diese innere Leere und fanden einen festen Platz in unseren Familien. Die Vermenschlichung sorgte hier dafür, dass wir bereit waren, ein Tier auf Augenhöhe zu betrachten, seine Bedürfnisse wahr und ernst zu nehmen, uns selbst für sie zurückzunehmen und Kompromisse einzugehen. Auch in schwierigen Zeiten stieg damit die Bereitschaft für unsere Tiere, Probleme zu bewältigen, auch wenn es finanziell und seelisch hart wird.
Menschen finden zueinander
Bei den einen schuf das gemeinsame Interesse für Tiere Freundschaften und bei anderen wurde es sogar Ausschlusskriterium bei der Partnerwahl. Wir bilden Communitys und organisieren Treffen, wälzen die Internetforen, um uns über unsere Lieblinge auszutauschen. Und für mich das bewegendste Beispiel, wenn Menschen im großen Stil gemeinsam gegen Tierleid kämpfen.
Die Leidenschaft für Tiere verbindet.
Zusammenfassung
Die menschliche Psyche neigt von Natur aus dazu, Tieren menschliche Eigenschaften und Verhaltensmerkmale zuzusprechen. Für uns und unsere Haustiere kann das zum Vorteil dienen, doch oft geht die Vermenschlichung in unserer heutigen Gesellschaft auch zu weit.
Wenn der Mensch sein Haustier wie einen Menschen behandelt, dann ignoriert er den Fakt, dass wesentliche biologische Unterschiede existieren und ihnen damit sogar Schaden zufügen. Wenn wir uns tierische Begleiter anschaffen, sind sie unseren Entscheidungen ausgeliefert. Wir stehen also in der Verantwortung, ihnen eine Umgebung zu schaffen, die ihren natürlichen Verhaltensweisen und Bedürfnissen entspricht und sie als das zu akzeptieren, was sie sind – nur so können wir ihnen ein glückliches und gesundes Leben ermöglichen.
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Quelle:
²Brown, Christina & Hengy, Selena & McConnell, Allen. (2016). Thinking about Cats or Dogs Provides Relief from Social Rejection. Anthrozoös. 29. 47-58. 10.1080/20414005.2015.1067958.
³de Mouzon, C., Gonthier, M. & Leboucher, G. Discrimination of cat-directed speech from human-directed speech in a population of indoor companion cats (Felis catus). Anim Cogn26, 611–619 (2023).
Bildquelle:
Titelbild von Marat Mukhambetaliev auf Pixabay
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